Songwriting abseits von Dur und Moll
Eigentlich wollte ich einen großen Bogen um Musiktheorie machen, bis ich mit The Awakening eine Melodie schrieb, die weder Dur noch Moll war. Deswegen stelle ich euch in diesem Post vor, wie ich zum modalen Songwriting – oder auch Songwriting in Kirchentonarten gekommen bin und warum sich der Blick in modale Tonarten lohnt.
Was sind Kirchentonarten?
Modale Tonleitern entstanden aus Kirchentonleitern und werden in der heutigen Musik eher selten verwendet. Eine Ausnahme bildet modaler Jazz, der auf Improvisation beruht. Auch wenn es musiktheoretisch falsch ist, kann man sich die gängigsten Kirchentonarten durch verschobene Dur-Tonleitern vorstellen. Für eine anschauliche Erklärung nehme ich eine C-Dur Skala und schiebe nach und nach den Grundton hoch, ohne die Intervalle (Abstände zwischen den Tönen) zu verändern. Dadurch erhält man folgende Kirchentonarten:
C - D - E - F - G - A - H = C ionisch oder C Dur D - E - F - G - A - H - C = D dorisch E - F - G - A - H - C - D = E phrygrisch F - G - A - H - C - D - E = F lydisch G - A - H - C - D - E - F = G mixolydisch A - H - C - D - E - F - G = A aeolisch oder A natürlich Moll H - C - D - E - F - G - A = H lokrisch
Warum lohnt sich Songwriting in Kirchentonarten?
Ich verstehe eine Tonart als ein Satz Tönen, an die ich mich beim Komponieren halten sollte. Wenn ich einen Song in G mixolydisch schreiben würde, sollte mein Grundakkord G, Gsus4 oder G13 sein. Meine Akkorde werden durch die Töne bestimmt, die in dieser Skala enthalten sind. In diesem Fall passen C, G, F, Dm, Am, Em. Etwas spannender klingt der Song mit Akkorden wie Cmaj7 oder Gsus4.
Wahrscheinlich habt ihr es schon herausgelesen: Ich mache mir keine Gedanken um Musiktheorie und schon gar nicht über Kadenzen und Funktionen. Ich schreibe die Akkorde und Klänge, die mir in den Sinn kommen und gut klingen. Erst danach suche ich die korrekte Bezeichnung der Akkorde und Tonarten heraus, damit andere Musiker den Song remixen oder nachspielen können. Seit zehn Jahren hilft mir dabei die kleine Skalenuhr von Klaus Rower.
Wie klingen modale Tonleitern?
Heutige Popmusik ist in den meisten Fällen in Dur, harmonisch Moll oder melodisch Moll geschrieben. Manchmal findet man auch den ein oder anderen mixolydischen Popsong, während man lokrisch fast gar nicht hört. David Bennett hat auf YouTube ein englischsprachiges Video über unterschiedliche Modi mit vielen bekannten Hörbeispielen hochgeladen. Man muss kein Musiktheoretiker sein, um das Video zu verstehen. Dorisch, lydisch und mixolydisch klingen für mich so angenehm, dass ich den Unterschied zu Dur und Moll nur bei genauem Hinhören merke. Dagegen lösen lokrisch und phrygrisch ein unwohles Gefühl aus, als würde die Melodie schief klingen.
Moden der natürlichen Molltonleiter sind nur ein kleiner Bruchteil von Skalen und Tonleitern, die sich für Songwriting eignen. Man kann auch Moden von harmonisch Moll und natürlich Moll nutzen. Wenn man die Intervalle verändert, eröffnen sich dank Bluesskalen, Pentatonik, chromatischen Tonarten und exotischen Tonarten eine noch viel größere Menge an Möglichkeiten! Solange es gut klingt, spricht nichts dagegen, zwischen den Tonarten und Skalen zu wechseln.
Wie ich Kirchentonarten in meiner Musik verwende
Modale Skalen werden im Jazz und Progressive häufig eingesetzt, doch man findet sie auch in der Popmusik. Elektronische Musik wird überwiegend in Moll oder Dur geschrieben. Ich stelle euch ein paar meiner Songs vor, die sich Abseits von Dur und Moll bewegen und trotzdem eingängig sind.
The Awakening ist dorisch oder lydisch
The Awakening ist ein Epic Trance Song in B lydisch und G dorisch. Der Grundton dieses Lieds ist ein G, auf der Skala von D-Moll, wobei die Akkordprogressionen auf B basiert. Diese Tonarten geben dem Song einen mystischen melancholischen Klang, in den ich mich sofort verliebt habe. Der Song ist entstanden, als ich Akkorde auf dem Keyboard ausprobiert habe und ein cinematisches Thema entstanden ist.
Wenn ihr auf das Bild klickt, gelangt ihr auf meinen YouTube Kanal, wo ihr den Song ausschnittsweise anhören könnt. Der Großteil des Songs basiert auf G-Dorisch:
G - A - B - C - D - E - F - G
Nadine de Macedo – The Awakening
Bei den Streichern werden folgende Akkorde gespielt, wobei B6 ständig in einer Umkehrung auftaucht, in welcher das G präsenter klingt (G – B – D – G). Ob das noch reines dorisch oder bereits B lydisch ist, weiß ich nicht.
| Bb6 | Fsus4 | Eb6 | Bb6 F |
Nadine de Macedo – The Awakening
The Awakening bewegt sich durch die Wahl des Grundtons und der Akkorde abseits von Dur und Moll. Das führte dazu, dass er bei Beatport fälschlich als G-Moll gelistet ist. Nach der Veröffentlichung fragten mich mehrere DJs, was das denn für eine seltsame Tonart sei. G-Moll enthält nämlich Eb statt E. Für das harmonische Mixing (Link führt zu einem Software-Anbieter, der das Konzept erklärt) empfehle ich, vorher einen Song in D-Moll zu spielen (identische Töne, anderer Grundton) oder den Bass über einen Song in G-Moll zu blenden.
“Lost Letter” ist in lydisch
Meine zweite Veröffentlichung “Lost Letter” wurde in F lydisch geschrieben. “Lost Letter” ist ein gutes Beispiel für Pop-Songwriting in der House Musik. Ich mag den lydischen Modus sehr, da er melancholisch und hoffnungsvoll zugleich klingt.
Die verwendeten Töne dieses Songs sind:
F - G - A - H - C - D - E - F
Nadine de Macedo feat. Lys-Jane – Lost Letter
Nicht alle Remixer haben die lydische Skala beibehalten. So wurde der Thomas You Remix in C-Dur geschrieben. Da beide Tonarten tonal identisch sind, harmoniert der Gesang problemlos mit seiner Akkordfolge.
Promises ist mixolydisch
“Promises” beginnt mit einem D-Dur Akkord, der von einem a-Moll Akkord gefolgt wird. Das macht den Pop Rock Song mixolydisch, da ständig ein C statt eines C# gespielt wird. Die Bridge leiht sich Akkorde aus anderen Moden aus. Klicke auf das Bild, um den Song zu hören.
“Two Sunshines” wechselt zwischen dorisch und aeolisch
Die kraftvolle Rockballade “Two Sunshines” von meiner Band The Verge wechselt mehrmals die Tonart. Die Strophe ist in D dorisch mit Grundakkord Dm6 geschrieben, im Pre-Chorus mogelt sich ein Cis in die Skala, bevor der Refrain eindeutig in A aeolisch rutscht. Der Song ist ein gutes Beispiel für die Flexibilität von Tonarten und Moden. Wer sagt denn, dass man über die gesamte Songlänge in einer Tonart bleiben muss?
Seid ihr versehentlich in einer modalen Skala gelandet?
Berichtet mir bitte von euren Erlebnissen. Mich würde vor allem interessieren, ob ihr bewusst oder versehentlich in eine ungewöhnliche Tonart gelandet seid.
P.S. Wer fundierte Musiktheorie erwartet, wird an dieser Stelle enttäuscht sein. Ich schreibe Musik, wie sie mir ins Ohr kommt und mache ich mir seit vielen Jahren eigene Gedanken dazu, statt Musiktheorie zu lernen. Deswegen bitte ich um Nachsicht, wenn die Begrifflichkeiten nicht korrekt verwendet werden. Wenn ihr mir Hinweise und Vorschläge gebt, kann ich den Artikel gerne korrigieren. Ich erhalte keinen Gegenwert für die Nennung entsprechender Künstler*innen, Angebote und Websites. Mit diesem Post beabsichtige ich lediglich den Erfahrungsaustausch zwischen Musiker*innen und nenne hilfreiche Quellen.
Ein Kommentar
Thomas
Oh Nadine, du bist echt herrlich mathematisch 😄
LG
Thomas